STROKES

Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Buch STROKES, das Irreparable und In-waste-ment. Du kannst hier den Auszug auch als PDF mit Abbildungen herunterladen.

In einem Workshop vor ungefähr fünfzehn Jahren stellte mein Beraterkollege und Freund Christian Fust das übersichtliche Stroke-Modell von Eric Berne vor. Während ich ihm zuhörte, fiel es mir in vielen Punkten in Bezug auf mich selbst und auf meine Arbeit mit Menschen, Teams und Organisationen wie Schuppen von den Augen. Die Prägnanz und Erklärungskraft des Modells begeisterte mich. Im Nachgang beschäftigte ich mich eingehender mit dem dahinterliegenden psychologischen Hintergrund der Transaktionsanalyse und verknüpfte das Modell mit Theorien der Kulturanthropologie und Ideen der Philosophie. In meiner Arbeit als Organisationberater gibt es heute kein Modell, das ich öfter vorstelle. Ich habe auch den Eindruck, dass keines der Modelle, die ich in Workshops vorstelle, die Menschen tiefer bewegt. Schon oft wurde ich nach dem Workshop gefragt, ob es nicht eine griffige Zusammenfassung des Modells und der damit verknüpften Gedanken gebe. Ich folge heute diesem Ruf und möchte Dir diese Zusammenfassung vorstellen. (…) 

Ein Stroke ist – wie gerade schon gesagt – eine Einheit der Anerkennung. Und diese Einheiten tauschst Du den ganzen Tag mit anderen Menschen aus, wenn Du mit ihnen in Kontakt bist. Du tauschst diese Einheiten sogar mit Dir selbst aus. Das heißt, Du gibst und erhältst an einem normalen Tag tau- sende von Strokes. „Guten Morgen Schatz.“ – erster Stroke. „Gut geschlafen?“ – zweiter Stroke. Das fröhliche Grüßen der Chefin im Büro, der Applaus für eine gelungene Präsentation, das Stirnrunzeln bei Deinem Kommentar im Meeting, das Tuscheln über den unbeliebten Kollegen – alles einzelne Strokes. Alle verbalen und körperlichen, nicht-verbalen Signale, die Du anderen Menschen gibst oder von ihnen erhältst, kann man als Strokes ansehen. Und diese Strokes scheinen wir unbedingt zu brauchen, wie die Geschichte von dem tragischen Experiment zur Ursprache lehrt. Eric Berne sagt, wir Menschen haben einen unbändigen Hunger nach Strokes. Man könnte auch sagen, wir sind Stroke-Junkies. (…)

Mit das Schlimmste, was uns angetan werden kann, ist ignoriert zu werden – oder in der Sprache des Stroke-Modells: gar keine Strokes zu bekommen. Du hast das Gefühl sicher schon einmal erlebt, das dabei entsteht. (…)

Gehen wir im Modell ein wenig weiter. Eric Berne unterscheidet unterschiedliche Arten von Strokes. Zunächst gibt es positive und negative Strokes. Du wirst mir zustimmen, dass to stroke somebody (jemanden streicheln) gemeinhin positiv assoziiert, während to have a stroke (einen Schlaganfall haben) negativ angesehen wird. Korrespondierend kannst Du mit anderen positive und negative Strokes austauschen. Alle Botschaften und Handlungen, mit denen Du ein „Mag ich!“ signalisierst, senden positive Strokes. Umgekehrt senden alle Botschaften und Handlungen, mit denen Du ein „Mag ich nicht!“ signalisierst, negative Strokes. 

Eine weitere, sehr wichtige Unterscheidung im Stroke-Modell ist der Unterschied zwischen bedingten und unbedingten Strokes. Mit bedingten Strokes fokussierst Du Dich auf das Tun, auf das Verhalten, auf die Performance von anderen. Du gibst mit ihnen immer auch eine „Weil-Information“ mit: „Ich mag es (nicht), weil Du dieses oder jenes (nicht) tust“. Mit unbedingten Strokes dagegen fokussierst Du Dich auf das reine Sein, um es etwas philosophisch zu formulieren. Du beziehst Dich auf die Person an sich, auf deren Essenz als Mensch. (…)

Deine unbedingten Strokes wirken aufgrund ihrer Bedingungslosigkeit wesentlich stärker als bedingte Strokes. Unbedingte Strokes wie „Ich freue mich, dass wir zusammenarbeiten!“ bzw. „Was für ein Idiot bist Du denn?“ (beide ohne jedes „Weil“) wirken heftiger als bedingte Strokes wie „Ich finde, Du hast gute Arbeit geleistet!“ oder „Hier hast Du glaube ich einen Fehler gemacht!“ 

In Korrelation gebracht gibt es im Stroke-Modell also vier Arten von Strokes, die Du mit Menschen (im Unternehmen) austauschen kannst: 

Unbedingte positive Strokes (UP-Strokes)

Alle Botschaften und Handlungen, die einer Person zeigen, dass Du sie grundsätzlich als Mensch schätzt (und ihre generelle Mitarbeit im Unternehmen nicht in Frage stellst). 

Beispiele: 

„Ich mag Dich.“ 

„Schön, dass Du da bist.“ 

 „Ich freue mich, dass Du Teil des Teams bist.“ 

Ein lächelndes Kopfnicken mit Augenkontakt bei der Begegnung. 

Unbedingte negative Strokes (UN-Strokes) 

Alle Botschaften und Handlungen, die einer Person zeigen, dass Du sie als Mensch ablehnst (und ihre generelle Mitarbeit im Unternehmen in Frage stellst). 

Beispiele: 

„Ich hasse Dich!“ 

„Verschwinde!“ 

„Du kriegst doch eh nichts auf die Reihe.“

Ein Augenverdrehen und demonstratives Wegschauen, wenn jemand den Raum betritt. 

Bedingte positive Strokes (BP-Strokes) 

Alle Botschaften und Handlungen, die einer Person zeigen, was Du an ihrem Verhalten (und ihrer Performance) gut findest, was sie beibehalten soll. 

Beispiele: 

„Das hast Du gut gemacht!“ 

„Mir gefällt es, wie Du Dich kleidest.“

„Die Präsentation, die Du gehalten hast, fand ich super.“ 

Zustimmendes Nicken. 

Bedingte negative Strokes (BN-Strokes) 

Alle Botschaften und Handlungen, die einer Person zeigen, was Du an ihrem Verhalten (und ihrer Performance) nicht gut findest, was sie anders oder besser machen könnte. 

Beispiele: 

 „Hier hast Du einen Fehler gemacht.“ 

„Ich mag es nicht, wenn Du während des Sprechens Kaugummi kaust.“ 

„Auf den Folien 3, 5 und 8 hat mir das Design der Folien nicht gefallen.“ 

Prüfendes Zusammenkneifen der Augen und Stirn in Falten legen. (…)

UP-Strokes werden von Menschen gemeinhin positiv als Wertschätzung und Respekt wahrgenommen. Sie schaffen Vertrauen und geben Sicherheit. UN-Strokes hingegen wirken stets destruktiv. Sie schüren Angst und säen Misstrauen. BP-Strokes machen Stärken bewusst und generieren Selbstbewusstsein. Und wie ist es mit den BN- Strokes? Auch wenn es negative Strokes sind, so generieren sie doch (wenn sie nicht verwechselt werden) einen positiven Effekt. Sie bewirken Selbstkritik und den Willen zu Lernen, zur Verbesserung, zur Veränderung. Das ist der große und wichtige Unterschied zwischen unbedingt- und bedingt-negativen Strokes: Erstere wirken destruktiv, letztere motivieren zur Veränderung. Wir sind uns wahrscheinlich einig, dass UP-, BP- und BN-Strokes gut, richtig und wichtig sind. Und wir sind uns hoffentlich auch einig, dass UN-Strokes unter allen Umständen vermieden werden sollten. (…)

Soviel zum Thema Strokes. Mir hilft das Stroke-Modell in vielen Situationen, mich klarer auszudrücken, Situationen besser zu beurteilen und auch mich besser selbst zu steuern. Ich bin bei weitem nicht perfekt in der Anwendung des Modells. Aber ich habe den Eindruck, dass es mir ein wenig besser gelingt, mit Mitmenschen und auch mit mir selbst umzugehen. Es würde mich sehr freuen, wenn das Modell auch Dir ein wenig von der Faszination und Einsicht, die es mir geschenkt hat, vermitteln würde. Und es würde mich freuen, wenn Du es auch mit in die Anwendung bringen würdest. Denn aus meiner Sicht steckt in dem Modell eine großartige Utopie: Wenn alle Menschen vertrauensvoll mit sich selbst und miteinander verbunden wären, wenn sie sich ihrer Stärken bewusst wären und sich diese gegenseitig bewusst machen würden, wenn sie sich selbst und andere kritisch hinterfragen könnten, ohne dass irgendjemand verletzt würde – wäre das nicht die Welt, in der wir alle (arbeiten und) leben wollten? 

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch STROKES, das Irreparable und In-waste-ment. Du kannst hier den Auszug auch als PDF mit Abbildungen herunterladen. Melde Dich gerne, wenn Du an dem gesamten Buch interessiert bist, das noch tiefer gehende Bezüge herstellt und Dich zur Reflexion einlädt.

Johannes Ries