Tribagility

>> Die längste Zeit seiner Geschichte hat der Mensch in einer Welt gelebt, die für ihn technisch nicht beherrschbar war. Seine Umwelt stellte ihn tagtäglich vor unvorhersehbare Herausforderungen, auf die er reagieren musste. Tribal (d.h. stammesgesellschaftlich) organisiert, fand der Mensch als Jäger und Sammlerin gemeinschaftliche Formen des Zusammenlebens, Wirtschaftens und Denkens, welche ihn die ihn umgebende Weltkomplexität erfolgreich meistern ließen.

Die neolithische Revolution, d.h. der Übergang zum sesshaften Ackerbau, erlaubte es dem Menschen, in immer größer werdenden Gruppen das eigene Überleben zu gestalten. Staatliche Organisation ersetzte immer mehr das tribale Zusammenwirken, hierarchische Ordnung die egalitären Systeme, sesshafte Territorialität die mobile Lebensweise, technologische Umweltbeherrschung die integrierte Lebensanpassung, differenzierte Arbeitsteilung das ganzheitliche Wirtschaften, lineare Zukunftsplanung das zyklische Denken…

Spätestens die industrielle Revolution machte es (unter wachsender Differenzierung eines immer eigenständiger werdenden Wirtschaftssystems) möglich, Ressourcen und Arbeitskraft maschinell immer effizienter zu nutzen. Die bereits in der neolithischen Revolution angelegten Diskurse wurden weiter verstärkt und die mit ihnen verbundenen sozialen Praktiken optimiert. Die Umweltbeherrschung des Menschen schritt dabei soweit fort, dass wir heute im sog. Anthropozän leben. So wird die neue geochronologische Epoche benannt, in der der Mensch mit zum wichtigsten Einflussfaktor auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse des von ihm bewohnten Planeten geworden ist.

Heute stehen wir mitten im Sturm der digitalen Revolution. Hypertechnologie und die globale algorithmische Vernetzung generieren eine rapide zunehmende Komplexitätssteigerung unseres Umfelds. Das exponentielle Fortschreiten von künstlicher Intelligenz bewegt so manchen Denker zur Prophezeiung eines posthumanistischen Zeitalters. VUCA – Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität erfassen immer mehr Bereiche unseres Lebens. Vorzeichen, an denen wir unser Leben erfolgreich orientierten, kehren sich um. Die vernetzte Weltgesellschaft gleicht vielfach einem neuen, selbst geschaffenen Dschungel, in dem die mit der neolitischen Revolution etablierten Erfolgsmuster nicht mehr wirken können.

Als New Work Anthropologist möchte ich die Hypothese aufstellen, dass als Antwort auf die digitale Revolution die Erfolgsfaktoren tribaler Organisationsformen wieder relevant werden könnten. Dabei geht es mir nicht darum, ein konterrevolutionäres „Zurück zum Alten“ auszurufen. Vielmehr glaube ich, dass Planet, Mensch und Unternehmen davon profitieren könnten, wenn wir unser tribales Erbe auf der Basis unseres heutigen technologischen Fortschritts mit dem Ruf nach Agilität integrieren könnten. Unter dem Titel Tribagility stelle ich daher acht Grundhaltungen zur Diskussion, anhand derer Zusammenleben, Arbeiten und Denken im digitalen Weltschungel neu gestaltet werden könnten. Ich tue dies mit einem Augenzwinkern, um den spielerischen Charakter dieses Vorhabens zu unterstreichen. Gleichzeitig möchte ich jedoch auf den tiefen Ernst jedes noch so leichtfüßigen Spiels verweisen – ist es doch wohl das Spielen, das den Menschen am Beginn seiner Weltgeschichte in einer ersten Geistesrevolution aus dem Tierreich heraushob…

 

TRIBALIZE 

Transform the hierarchical pyramid into a landscape of self-organized circles.

NOMADIZE 

Adapt quickly to changing conditions and explore opportunities.

SHAMANIZE  

See the whole ecosystem, integrate its parts and care for balance.

MYTHOLOGIZE

Create purpose and tell a meaningful story that makes it eternal.

CREATE COMMUNITAS

Celebrate the community of deeply connected equals.

RITUALIZE  

Create safe spaces and iterate cycles of (re-)creation.

IN-WASTE

Give without expecting immediate return – the universe never forgets.

SACRALIZE

Allow the other and different to enter… and the future to emerge.

 

Johannes Ries