Playmobil-Spielen im Unternehmen

Neue Methoden: Figur(ierung)en im komplexen Feld

>> Vor kurzem kam mein achtjähriger Sohn zu mir und meinte, dass er – wenn er groß sei – auch Organisationsberater werden wolle. Man fühlt sich da schon geschmeichelt, wenn das eigene Kind den gleichen Berufsweg wie man selbst einschlagen möchte. Als ich den Filius jedoch nach dem Grund für seine frühen Berufspläne fragte, verdutzte mich seine Antwort: „Dann kann ich auch als Erwachsener immer noch weiterspielen.“ Tatsächlich sehe ich mich – Jan Huizingas Paradigma des homo ludens folgend – öfter mal in den Zimmern meiner Kinder um, um mit dem, was sich dort an Spielsachen findet, neue Workshop- und Interventionsformate zu entwickeln. Und bereits seit einigen Jahren leihe ich mir regelmäßig die Playmobilkiste aus, um mit Teams Playmobil zu spielen – und damit mit spielerischem Ernst neue Perspektiven auf Persönlichkeit, Organisationskultur und Zukunftsvision zu entwickeln.

Der Chaosforscher und Psychologe Andreas Huber argumentiert überzeugend, dass ein metaphorisches Denken desto wichtiger wird, je komplexer das Umfeld ist. Eine Metapher ist auf der einen Seite stark orientierend, da sie von allen Kommunikationspartnern intuitiv „richtig“ verstanden wird. Gleichzeitig ist sie jedoch „fuzzy“ genug, um vielfältig an komplexe Sachverhalten und Interpretationsweisen „andocken“ zu können. An anderer Stelle habe ich diese Stärke von Metaphern schon einmal in Bezug auf erfolgreiche Führung in der VUCA-Welt in Dienst genommen.

Wie wichtig dieses metaphorische Prinzip für ganze Unternehmen und damit auch für die Organisationsentwicklung und -beratung wird, dokumentiert der stetig wachsende Einsatz von Graphic Facilitators: Professionelle Zeichner übersetzen Themen, Inhalte und Diskussionsverläufe in Bilder, machen sie für alle Beteiligte auf symbolische Weise (be)greifbar und damit auf neue Art besprechbar. Ich arbeite sehr gerne mit Graphic Facilitators zusammen; gleichzeitig stört mich dabei jedoch immer ein Punkt: Die Übersetzung ins Bild findet durch einen Graphikexperten statt und nicht durch die Beteiligten selbst. Mit spielerisch-suchendem Blick durch das Kinderzimmer entstand die Idee, die Brücke über diese Übersetzungslücke mit Playmobil zu schlagen.

Die Plastikfiguren, -gegenstände und -tiere eignen sich hervorragend für die metaphorische Abbildung und spielerische Diskussion von komplexen Gefügen und sind gleichzeitig von jedermann auch ohne zeichnerisches Talent leicht zu handhaben. Aufgrund der hohen Vielfalt, der modularen Kombinierbarkeit und der symbolischen Offenheit aller Playmobilteile lassen sich komplexe Themen einfach visuell und konkret anfassbar darstellen. Im methodisch fruchtbaren Schnittfeld von Design Thinking, Systembrett-Aufstellung, Sandspieltherapie, Learning Maps und Graphic Recording habe ich mit Hilfe von Playmobil verschiedene Formate entwickelt und damit in vielen Workshops mit Teams experimentiert. Im Folgenden möchte ich zwei Formate vorstellen, die sich im prototypischen Test der beraterischen Alltagspraxis bestens bewährt haben. 

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Persönlichkeitsskulpturen

Playmobil eignet sich wunderbar, um Teilnehmenden, die sich zum ersten Mal begegnen, ein sehr persönliches Kennenlernen zu ermöglichen und schnell individuelle Anknüpfungspunkte finden zu lassen, über die sie im intensiven Dialog Vertrauen aufbauen können. Jede(r) Teilnehmende bekommt den Auftrag, sich selbst mit Playmobilfiguren, -tieren und -gegenständen als Skulptur abzubilden. Je nach Kontext können in der Skulptur eine oder mehrere der folgenden persönlichen Dimensionen dargestellt werden:

  • Biographie, Lebensweg und wichtige Ereignisse
  • Persönliche Werte und Prinzipien
  • Berufliche Tätigkeiten, Freizeitinteressen und Hobbies
  • Persönliche und berufliche Fähigkeiten, Stärken und Kompetenzen
  • Wichtige Personen in Familie und Ressourcen des (beruflichen) Netzwerks

Die Wahl der Figuren und Gegenstände sowie deren metaphorische „Aufladung“ erfolgt dabei intuitiv: Eine Gazelle, ein Presslufthammer oder eine Leiter können je nach individueller Interpretation zu Platzhaltern etwa für ein wichtiges biographisches Ereignis, die Beschreibung des eigenen Gemüts oder einen beruflichen Schwerpunkt werden…

Nach ca. 20 Minuten Bauzeit werden die Teilnehmenden eingeladen, sich paarweise oder in kleinen Gruppen ihre Skulpturen gegenseitig vorzustellen und dabei von sich zu erzählen. Nach einiger Zeit wechseln die Teilnehmenden die Dialogpartner_innen, sodass sich nach drei bis vier Runden viele Teilnehmende intensiver kennen gelernt haben.

Am Ende der Dialogphase können alle Skulpturen auf einem Tisch o.ä. ausgestellt und mit Namen versehen werden, sodass im weiteren Verlauf der Veranstaltung die Teilnehmenden immer wieder auf ihre Skulpturen Bezug nehmen oder sich gegenseitig darauf ansprechen können.

Bei genügend Zeit kann das Vorgehen um folgende Varianten ergänzt werden: Bevor die Teilnehmenden ihren jeweiligen Dialogpartner_innen die eigene Skulptur erklären, beschreiben letztere, was sie in der Persönlichkeitsskulptur der anderen erkennen und stellen Hypothesen über die jeweilige Person auf. Auf diese Weise findet ein erstes, sehr intuitives Feedback statt. Erfahrungsgemäß interpretieren die Teilnehmenden die Persönlichkeitsskulpturen sehr stärkenorientiert, sodass das Hypothesenfeedback meist als überaus wertschätzend erlebt wird.

Ist eine Gruppe zahlenmäßig überschaubar, so kann nach den Einzeldialogen eine Vorstellung aller Skulpturen im Plenum erfolgen: In der Mitte des Stuhlkreises werden die Persönlichkeitsskulpturen aller Teilnehmenden aufgestellt und die Dialogpartner_innen schildern jeweils, was sie Interessantes über die andere Person erfahren haben.

Gegebenenfalls können die Skulpturen im Anschluss daran auch mit systemischen Aufstellungsmethoden als große Teamskulptur in Position gebraucht werden. Fragen über sichtbare Gemeinsamkeiten und Unterschiede (Diversity-Balance) oder Ressourcen im Team können wertvolle Reflexionen auslösen und Ausgangspunkt für eine People-orientierte Organisationsentwicklung sein…

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Organisationsdiorama und Visionslandschaft

Das Diorama kennt man vor allem aus Museen, in welchen den Besucher_innen in Schaukästen ökologische Habitate (z.B. „der Regenwald“), weltgeschichtliche Ereignisse (z.B. berühmt-berüchtigte Schlachten) oder kulturelle bzw. sozialhistorische Milieus (z.B. ein orientalischer Markt oder „die Steinzeit“) exemplarisch vorgestellt werden.

Mit Playmobil lassen sich in Kleingruppen sehr schnell Dioramen von Teams, Abteilungen, ja ganzer Unternehmen erstellen, die das komplexe Gefüge einer Organisation und ihrer Umwelt ganzheitlich-methaphorisch abbilden und besprechbar machen. Gruppen von drei bis sechs Personen nutzen hierbei erneut die Playmobilfiguren, -gegenstände und -tiere, um Großskulpturen und Metaphernlandschaften aufzustellen. Als Untergrund für die Dioramen haben sich Whiteboards bewährt, auf denen weitere Sinnebenen und Zusammenhänge aufgezeichnet werden können (Verbindungswege, Gebiete, Grenzen, Verknüpfungen, Netzwerke etc.).

Das kollektiv entstehende Diorama kann je nach Fragestellung die aktuelle Struktur und Kultur der Organisation, aber auch die angestrebte Vision von Organisationsstruktur, Kultur der Zusammenarbeit, Arbeitsweise etc. figurieren. Sogar der Weg vom Heute in die Zukunft kann Teil der emergierenden ganzheitlichen Figurenlandschaft werden…

Je nach Gruppengröße entstehen so parallel mehrere Dioramen, die auf unterschiedliche Weise ähnliche Sachverhalte zum Ausdruck bringen. Wie bei den Persönlichkeitsskulpturen lebt auch dieses Format vom Austausch und dem Dialog der „gemeinsam Spielenden“. Bereits während der Erstellung der Dioramen findet in den Kleingruppe eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema statt. Die Diskussion intensiviert sich noch einmal, wenn in der Präsentation der Dioramen die Multiperspektivität von komplexen Themen virulent wird: Meist erstellen unterschiedliche Gruppen zum gleichen Thema unterschiedliche Visualisierungen. In jedem Fall evolvieren wertvolle und spannende Perspektiven für die weitere inhaltliche Arbeit.

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Persönlichkeitsskulpturen und Dioramen können auch kombiniert werden. Ein konkretes Beispiel aus der Beraterpraxis: Während eines Zweitageworkshops zur Neuausrichtung einer Abteilung wurde mit Playmobil Schritt für Schritt auf einem ca. vier Meter langen Tisch eine Großskulptur „erspielt“. Ausgehend von den Einzelskulpturen am einen Ende des Tisches wurde zunächst eine lebhafte Diskussion über die vorhandenen persönlichen Ressourcen im Team und über Diversity als Chance für die Abteilung geführt. Anschließend kreierte das Team am anderen Ende des Tischs eine gemeinsame Visionslandschaft, um aus dieser die zentralen Werte, Zielsetzungen und Grundlagen der Zusammenarbeit abzuleiten. Auf dem Weg zwischen Einzelskulpturen und Visionslandschaft liegende Steine symbolisierten dann die aktuell bestehenden Hürden, die vom Team klar benannt wurden. Im nächsten Schritt wurde – ebenfalls mit Playmobil – die Art und Weise figuriert, wie man die Hürden aus dem Weg räumen und den Weg hin zur Vision ebnen könnte. Dazu wurden dann konkrete Maßnahmen definiert, die durch die metaphorische Figurierung jedoch ganzheitlich beschrieben werden konnten. Am Ende der zwei Tage blickte das Team stolz auf das Abteilungsdiorama: Vor ihnen stand ein selbst geschaffenes, individuelles Produkt aus spielerischer Freude und konstruktivem Ringen um ein klares gemeinsames Bild von Gegenwart und gemeinsamer Zukunft.

In vielen Workshops, in welchen ich mit Playmobil gearbeitet habe, wurden starke Bilder geboren: Das Team als Piratenbande, die die unsicheren Gewässer eines volatilen Marktes erobert; die Zentrale als herrschende Trutzburg, deren Tore für die Außensatelliten geöffnet werden müssen; die Qualitäts-Polizei, die sich in ein partnerschaftlich orientiertes Beraterteam transformieren möchte; das wärmende Lagerfeuer der Wertschätzung, um das sich das Team scharen möchte um Kraft zu tanken; der chaotische Spielplatz, auf dem anarchistisch kreative Ideen geboren werden sollen…

Metaphern können komplexe Zusammenhänge spielerisch begreifbar und intuitiv verstehbar machen und sich tief in der Diskussion um Richtung und Orientierung verankern. Meine bisherige Erfahrung ist: Wann immer die Playmobilkiste geöffnet wurde, brachen sich Initiative und Energie, intensiver Dialog und konstruktiver Austausch, vor allem Freude und Schöpfergeist Bahn. Komplexe Themen einer ganzheitlichen Organisationsentwicklung erhielten im Spiel mit Playmobil spannende Ausgangspunkte und Debatten mitunter überraschende Wendungen. Ganz nach dem Motto des Schillerschen Plädoyers: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

 

(Dieser Beitrag ist ebenfalls im TheDive-Blog zu finden.)

 

Johannes Ries